Meinung

Wahlen allein bringen keinen Klimaschutz

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AUTOR

Marco Bülow

Marco Bülow ist seit 2002 Bundestagsabgeordneter für Dortmund. Seine Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Transparenz und Lobbyismus sowie Umwelt und Klima.

Die wahlberechtigten Bundesbürger*innen dürfen jetzt nach vier Jahren mal wieder zwei Kreuzchen machen und haben dann ihre demokratischen Pflichten für die nächsten Jahre erfüllt. Dann spielen sie wieder keine Rolle mehr. Die vielen Millionen Nichtwähler*innen und Nichtwahlberechtigten (zusammen dürften es fast 40 Millionen sein) sind ganz außen vor. Außer die Menschen versuchen mit einflusslosen Petitionen oder durch große Proteste ihr Missfallen an politischen Entscheidungen kundzutun, haben sie keine weitere Möglichkeit mehr Einfluss auf die Politik zu nehmen. Im Wahlkampf – u.a. durch Millionenspenden und bezahlte Negativkampagnen -, danach bei den Koalitionsverhandlungen und der dann folgenden Regierungszeit schlägt die Stunde der Profitlobby.

Welche fatalen Auswirkungen das hat, kann man bei den Themen Klimaschutz und Biodiversität sehen. Schon seit Jahren gehört das Thema Bekämpfung des Klimawandels in Umfragen zu den Themen, die den Menschen am wichtigsten sind. Die Dringlichkeit des Handelns ist schon lange unter allen relevanten Wissenschaftler*innen unbestritten. Und jetzt werden sogar noch deren konservativsten Prognosen übertroffen. Der Klimawandel vollzieht sich deutlich schneller als erwartet, wie man dieses Jahr fast überall sehen kann. Dennoch bewegt sich die Politik viel zu langsam. Und das obwohl, anders als bei anderen politischen Themen, aufgeschobene oder falsche Entscheidungen Folgen haben, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Folgen, die das Leben aller Menschen auf diesem Planeten in irgendeiner Weise betreffen wird. Für nicht wenige werden sie sogar tödlich sein – selbst in Deutschland, wie bei der Flutkatastrophe in diesem Sommer. Dies trifft genauso beim ebenso wichtigen, aber leider völlig unterbelichteten Thema Biodiversität zu. Auch deren Erhalt ist für uns Menschen überlebenswichtig. Einmal ausgerottete Arten kommen nicht wieder. Sterben Bestäuber, wie z.B. Bienen, aus, können wir uns nicht mehr ernähren. Trotzdem betreiben wir weiterhin einen regelrechten Ökozid. Mehr zu dem Thema kann man in meinem Text „Dein Klima. Deine Welt. Deine Wahl“ nachlesen.

Jahrelang habe ich als Umwelt- und Energiepolitiker erleben müssen, wie die Regierungsfraktionen die Energiewende und andere Klimaschutzmaßnahmen immer blockiert haben. Wissenschaftliche Fakten und Grundlagen wurden missachtet. Viele Wissenschaftler*innen und viele junge Menschen aus der Klimabewegung reagieren darauf mit Unverständnis. Ich bin davon weniger überrascht, beobachte ich doch schon seit langem wie stark der Einfluss von Profitlobbyist*innen, insbesondere aus dem Energie-, Automobil- und Agrarbereich, und die Verflechtungen von Politik und Wirtschaft sind. Dies beschreibe ich ausführlich u.a. in meinem aktuellen Buch „Lobbyland“  und in meinem gleichnamigen Podcast. Pünktlich zur diesjährigen Bundestagswahl erklären nun aber alle Kandidat*innen, wie wichtig ihnen Klimaschutz sei. Plötzlich legt z.B. Armin Laschet kurzfristig einen 15-Punkte-Klima-Plan vor. Wir reden von dem gleichen Mann, der als Ministerpräsident den Ausbau der Windkraft in NRW durch absurde Abstandsregeln massiv ausgebremst und der noch 2019 bei Anne Will mit seinem Zitat „Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites Thema geworden“ deutlich machte, dass er eigentlich nichts beim Thema Klimawandel verstanden hat. Auch Olaf Scholz war bisher ein Blockierer, nun wirbt er aber auf Plakaten für wirksamen Klimaschutz. Worthülsen, leere Versprechen, nur weil die grüne Konkurrenz zu stark geworden war.

Aufgrund der Versäumnisse der Vergangenheit und der Unumkehrbarkeit der Auswirkungen der Klimakrise ist diese Bundestagswahl eigentlich besonders wichtig. Sie ist die letzte Chance, Politiker*innen und Parteien zu wählen, die alles daransetzen werden, den Klimawandel abzubremsen und den weiteren Ökozid zu verhindern. Nochmal vier Jahre können wir nicht warten. Geld, Ideen und technische Lösungen sind da! Natürlich könnten wir unser Energiesystem, unsere Produktion, unsere Mobilität, unsere Landwirtschaft, unsere Gebäude etc. klimaneutral und gleichzeitig sozial gerecht umgestalten. Es ist eigentlich ein Irrsinn, wieviel Geld da ist. Wir brauchen keine Steuererhöhung, wenn wir endlich vor allem klima- und gesundheitsschädliche Subventionen (40-60 Milliarden Euro jährlich) und weitere teure Privilegien abbauen würden.

Nach der Wahl sind aber die Versprechen und auch die in den Parteien erarbeiteten Konzepte höchstens zweitrangig. Ich habe dies hautnah zu oft erlebt. Den Koalitionsvertrag handeln dann teilweise nicht mal gewählte Politiker*innen mit Profitlobbyist*innen im Schlepptau aus. Und im Zweifelsfall versteckt man sich später hinter dem Koalitionspartner – noch einfacher, wenn es dann zwei weitere Parteien sind. Dem Koalitionsvertrag, der nicht demokratisch ausgehandelt wird und häufig nicht mal von den Parteien abgestimmt wird, müssen dann alle frei gewählten Abgeordneten folgen. Es herrscht Fraktionszwang. Das Gewissen wird ausgeschaltet und die Regierungsfraktionen nicken ab, was die Regierung vorgibt. Was die Opposition macht ist egal, denn wie jetzt ja einige Abgeordnete beim Afghanistandesaster deutlich machten: Anträge der Opposition – egal wie wichtig und dringend sie sind – werden immer abgelehnt.  Also wieder leichtes Spiel für die Profitlobby. Sie brauchen sich nur um die wenigen Stellschrauben in der Regierung wirklich kümmern.

Wenn sich also unser demokratisches System vor allem auf diese Art von Wahlen konzentriert, dann verkommt sie zur Fassade. Immer mehr Menschen werden sich von der Politik abwenden. Schlimmer noch, nicht wenige werden empfänglicher für Verschwörungstheorien und Rattenfänger*innen, mit scheinbar einfachen Lösungen und Sündenböcken, die präsentiert werden.

Aber was brauchen wir? Neben der klaren Zurückdrängung des Profitlobbyismus und klaren Regeln für Abgeordnete und Ministerien, der Abschaffung des Fraktionszwangs (siehe alle Themen unter www.lobbyland.de) benötigen wir deutlich mehr Resonanz und Einwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung außerhalb der Wahlen. Alle Bevölkerungsgruppen, alle sozialen Schichten müssen mehr Einfluss ausüben können. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Petitionen müssen aufgewertet werden. Ein Bundestagsausschuss, der mal über sie spricht, reicht nicht aus. Sie müssen bei einer ausreichend hohen Beteiligung in Gesetzesvorlagen münden, die im Bundestag beraten werden.

Auch Volksentscheide könnten in engen Grenzen und möglichst im Verbund mit anderen Instrumenten verstärkt genutzt werden, um der Bevölkerung bei bestimmten Themen mehr Entscheidungsbefugnis zu gewähren. Allerdings muss man hier sensibel vorgehen, denn auch sie können von der Profitlobby gut beeinflusst werden. Die Interessen von ökonomisch schlechter gestellten und von Minderheiten werden auch hier häufig nicht berücksichtigt.

Erfahrungen mit Bürger*innenräten haben gezeigt, dass sie Politik auf progressive Weise beeinflussen können. Die Zusammensetzung der Mitglieder wird gelost. Expert*innen werden zur Information herangezogen und deren Fachwissen findet Berücksichtigung – im Gegensatz zum Bundestag, wo Anhörungen so organisiert werden, dass sie eine Farce sind und an den vorher festgelegten Beschlüssen nichts mehr ändern. Entscheidend ist aber, dass die Politik verpflichtet wird, die Empfehlungen der Bürger*innenräte auch zu berücksichtigen.

Mit solchen sorgfältig gewählten neuen Instrumenten würde unsere Demokratie viel beweglicher, wichtige Entscheidungen würden viel schneller fallen und die Akzeptanz von politischen Entscheidungen würde zunehmen. Auch die Erfahrung des sich völlig machtlos Fühlens, die zu viel Politikverdrossenheit geführt hat, würde abnehmen. Zudem müssen die Abläufe im Bundestag lebendiger und transparenter werden.

Dies alles hilft uns allerdings beim Kampf gegen die Klimakatstrophe und den Ökozid nichts, wenn wir die Entscheidungen zur Einführung dieser Instrumente wieder auf die lange Bank schieben. Allein eine Partei in der Regierung auszutauschen, wird uns nicht entscheidend weiterbringen. Wir brauchen jetzt einen Demokratie Booster – sonst ist es zu spät.

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