Meinung

2021: ein Etappensieg für die Klimawende

{{ name }}
AUTOR

Wolfgang

Wolfgang ist Ecosias COO.

Die Klimabewegung in Deutschland hat einen grandiosen Erfolg errungen: wir haben die Bundestagswahl zur Klimawahl gemacht und eine Regierung der “Alternativlosigkeit” und der Lobbies von vorgestern abgewählt. Wenige Wochen später ist der Kohleausstieg bis 2030 beschlossene Sache. Wir können stolz, froh und dankbar sein. Das Engagement von Millionen von Bürger*innen hat sich gelohnt. Unsere besondere Anerkennung muss dabei vor allem einer relativ kleinen Gruppe von Klimaaktivist*innen gelten, die sich bereits seit vielen Jahren für eine Klimawende geradezu aufopfern.

Unbändige Freude will bei mir aber trotzdem irgendwie nicht aufkommen. Und dafür gibt es mindestens zwei Gründe:

Zum einen müssen die Beschlüsse des Koalitionsvertrags überhaupt erst umgesetzt werden. Das bedeutet zum Beispiel eine Versiebenfachung der Ausbaugeschwindigkeit von erneuerbaren Energien. Das kann alles gelingen, weil sich Habeck und Özdemir den Lobbys von vorgestern ohne Zweifel weniger verpflichtet fühlen werden, als ihre Vorgänger*innen Altmaier und Klöckner. Aber trotzdem sind die mächtigen Tailend-Investoren von Braunkohlekonzern bis Fleischbaron ja immer noch da. Und sie haben nach wie vor privilegierten Zugang zu vielen einflussreichen Positionen in unserer Gesellschaft.

Und, es ist ja auch nicht so, als bestünde die neue Regierung nur aus progressiven Kräften. Die FDP ist mit Klimawandelleugner*innen bis in die höchsten Ämter besetzt. Und auch bei der SPD kann man ja nicht sagen, dass sie an der verfassungswidrigen Klimapolitik der vergangenen acht Jahre unschuldig gewesen wäre. Im Gegenteil: das Abwürgen des Ausbaus von Erneuerbaren Energien geht mit Woidke und Kraft zum großen Teil auf das Konto zweier SPD Ministerpräsident*innen (hierzu Marco Bülows empfehlenswertes Buch “Lobbyland”).

Auch in der neuen Regierung scheinen die  70 Mrd. Euro pro Jahr an fossilen Subventionen in Deutschland unangetastet zu bleiben. Und das, obwohl

  • die SPD vorgibt, ihr Herz den sozial Schwächeren zu schenken, Dienstwagenprivileg und Flugbenzinsteuerbefreiung aber vor allem Besserverdienern zugute kommen
  • die FDP das Übel der Welt in Subventionen zu sehen scheint und sie alle davon auf den Prüfstand stellen möchte
  • die Grünen den fossilen Hahn zudrehen wollen.

Die progressiven Kräfte in der neuen Regierung brauchen also ohne Zweifel unsere Unterstützung. Wir müssen Ihnen den Rücken stärken.

Zum zweiten sind die Beschlüsse des Koalitionsvertrags vielleicht an der einen oder anderen Stelle durchaus ehrgeizig, in Summe aber leider bei weitem noch nicht ausreichend. Auch das neue Regierungsprogramm ist nicht konform mit dem 1,5° Ziel des Pariser Klimaabkommens und damit wohl immer noch verfassungswidrig. Das DIW hat die Lücke kürzlich quantifiziert: der Koalitionsvertrag deckt nur die Hälfte dessen ab, was notwendig wäre.

Deswegen müssen wir als Zivilgesellschaft schleunigst dafür sorgen, dass ein 1,5°-Lücke-Gesetz formuliert und vom Bundestag verabschiedet wird.

Und, unsere Regierungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene müssen endlich einen zweiten Hebel nutzen, für den es alle Gesetze und auch die notwendigen Finanzmittel schon gibt: die öffentliche Beschaffung. Jedes Jahr geben Bund, Länder und Gemeinden circa 500 Milliarden Euro für Beschaffungen aus. Wie der Bundesrechnungshof festgestellt hat, werden aber bei jeder zweiten (!) ausgabewirksamen Entscheidung des Bundes bereits geltende Nachhaltigkeitsanforderungen verletzt.

Wenn die Regierung statt über Beihilfen und Förderprogramme für grüne Startups zu debattieren endlich damit anfangen würden, von diesen Firmen zu kaufen, dann wäre viel erreicht. Wenn diese 500 Milliarden Euro jedes Jahr nicht mehr die Infrastrukturen alimentieren, die uns umbringen, sondern aktiv dazu beisteuern, die Infrastrukturen von morgen aufzubauen, dann wäre die Klimawende wahrscheinlich fast geschafft.

Ein gutes Beispiel dafür ist auch Ecosia: wir sind die größte europäische Suchmaschine mit über 15 Millionen Nutzer*innen, darunter auch viele namhafte Unternehmen, die uns standardmäßig voreinstellen. Dennoch sind es die Ministerien von Bund und Ländern, die bis auf wenige Ausnahmen noch die Dienste von Suchmaschinen nutzen, die unsere weltweiten Steuersysteme untergraben, unsere Privatsphären missachten, fossil erzeugten Strom nutzen und Eigennutz vor Gemeinwohl stellen.

Das bringt mich zu meiner dritten Forderung: Wenn im Bund jede zweite Vergabeentscheidung widerrechtlich getroffen wurde, dann hat das leider keinerlei Konsequenzen für die verantwortlichen Beamt*innen oder insbesondere Minister*innen. Wenn ein Bundeswirtschaftsminister Altmaier 4,35 Milliarden Euro Steuergeld auf Basis von Geheimverträgen an Braunkohlefirmen “vergibt”, dann muss er nicht fürchten, dafür persönlich haftbar gemacht zu werden. Selbst die Maskendeals der Abgeordneten scheinen unter den Gesetzen, die sie sich selbst gegeben haben, “legal” zu sein. Wenn Politiker*innen Narrenfreiheit haben und sich selbst ihre eigenen Gesetze machen, dann funktionieren Gewaltenteilung und Rechtsstaat nicht mehr. Wie ich in meinem Buch “Democracry for Future - das demokratische Upgrade zur Klimawende” darlege, brauchen wir insbesondere einen permanenten Bürger*innenrat als dritte Kammer, der die Belange der Angeordneten und Minister*innen regelt.

Aus all diesen Gründen können wir die Hände also auch in 2022 noch nicht in den Schoß legen. Das kommende Jahr ist wieder das wichtigste für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Wir werden uns in Gesprächen, Emails, Petitionen, gewaltfreien Blockaden und Demonstrationen für eine schnelle und noch schnellere Klimawende einsetzen. Ich hoffe, dass in 2022 wieder die häufigsten und größten Klimademonstrationen stattfinden werden, die Deutschland je gesehen hat.

Aber diesmal haben wir die Erfahrung und das Glücksgefühl im Rücken, dass wir wirksam sind. Was wir in den vergangenen zwölf Monaten erreicht haben, hat Geschichte geschrieben. Ich freue mich, mit euch in 2022 weiterzuschreiben!

Hol' dir Ecosia und pflanze deinen ersten Baum! Installiere Ecosia für Als Startseite festlegen Suche mit Ecosia x