Wilde Wälder in Deutschland sind heute selten. Wälder, in denen das Leben der Bäume beginnen und enden kann, wie von der Natur vorgesehen. In denen sich wilde Tiere frei bewegen können und wir Menschen nicht mitentscheiden, wie die Dinge sein sollen. Die Regisseurin und Produzentin Lisa Eder hat in ihrem Kinofilm “Der Wilde Wald” einem solchen Wald eine Bühne geschenkt. Der Nationalpark Bayerischer Wald ist Deutschlands ältester Nationalpark. Hier gibt es keinen Einfluss des Menschen, sondern die Natur darf machen, was sie möchte – das Ergebnis ist ein erstaunliches Wiederbeleben von Wildnis, mitten in Deutschland. Ich durfte mit Lisa Eder über ihren Film sprechen.
Bei unserem Gespräch befindet sich Lisa Eder im Wohnhaus ihrer Eltern — wenn sie aus dem Fenster schaut, erzählt sie mir, sieht sie den Nationalpark Bayerischer Wald. Lisa ist im Bayerischen Wald aufgewachsen und hat ihre Kindheit wortwörtlich im Wald verbracht. Drei Jahre lang filmte sie den Nationalpark mit vier Kamerateams gleichzeitig, am Ende entstehen 100 Stunden Material und ein Sammelsurium an Erlebnissen — beeindruckende Bilder von verschneiten Berglandschaften, malerischen Sonnenaufgängen, dem Licht im Wechsel der Jahreszeiten — und ein 90 minütiger Film, “Der Wilde Wald”.
Lisa, wie kam es dazu, dass du einen Film über einen wilden Wald drehen wolltest?
Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur hat mich schon immer interessiert — wir leben in einer Zeit, in der wir die Natur immer mehr zurückdrängen. Mit Blick auf die Abholzung und dem Rückgang der Wälder weltweit, ist der Wald ein Thema, das uns alle etwas angeht und relevant für die ganze Gesellschaft ist. Ich denke, dass es elementar wichtig ist, mehr Plätze zu schaffen, in denen wilde Natur sich entfalten kann. Nationalparke sind eine Form, diese Wildnis zuzulassen. Aber mir ist es wichtig, dass wir den Gedanken von mehr unberührter Natur in die Fläche bringen, das heißt auch in die Privatwälder und die bewirtschafteten Wälder. Mehr wilde Natur bedeutet im Fall dieser Wälder mehr Totholzanteil, mehr Biotopbäume und mehr alte Bäume, damit es eben mehr Artenvielfalt, mehr Biodiversität gibt, wie das in unberührten Wäldern der Fall ist.
In meinem Film habe ich versucht ein Plädoyer für mehr wilde Natur zu schaffen, und das aus der Sicht von verschiedenen Menschen. Mir war es ganz wichtig, der Naturwissenschaft im Film eine Stimme zu geben und auch der geisteswissenschaftliche, philosophische Ansatz kommt in Form einer Philosophin zu Wort. Ein Förster, der einen angrenzenden Wirtschaftswald nach naturnahen Kriterien bewirtschaftet zeigt, dass es möglich ist, die Natur zu achten und sorgsam mit ihr umzugehen, und gleichzeitig trotzdem Gewinn zu erzielen. Stellvertretend für den Zuschauer steht die Perspektive eines Wanderers — ein Mensch wie du und ich, der durch den Wald geht und dort Erholung und Regeneration findet. Mit meinen Protagonisten wollte ich ein breites Bild der gesellschaftlichen Gruppen abdecken. Ob jung, alt oder wissenschaftlich — das Ganze wird erzählt anhand der Geschichte eines Nationalparks, der von der Lokalbevölkerung nicht unbedingt gewollt und gewünscht war, der, nachdem man die Natur dann aber sich selbst überlassen hat, jedoch gezeigt hat, dass ein Miteinander von Mensch und wilder Natur auch im 21. Jahrhundert möglich ist.
Es ist spannend, wie du das Thema Wald auf so vielen Ebenen aufbereitest. Welche Bedeutung hat der Wald denn für uns Menschen?
Besonders in Deutschland ist das Thema Wald sehr sensitiv, denn der deutsche Wald ist historisch bedingt ein sehr emotionales Thema. Wir Menschen brauchen Wälder als Ort der Ruhe, als Ort der Entspannung. Wenn ich mich im Grünen aufhalte, wenn ich durch einen Wald gehe, dann sinkt der Blutdruck, dann fühle ich mich ganz anders. Wälder sind extrem wichtig für das Seelenheil eines jeden Menschen. Und es macht einen Unterschied ob ich in der Stadt, in einem wilden Wald, oder in einem Fichten-Monokulturwald spazieren gehe.
Weltweit findet in wilden Wäldern sehr viel Forschung statt und oft nehmen Nationalparks eine wichtige Rolle als Lernort ein. Der Nationalpark Bayerischer Wald gehört, bezüglich der Forschung, beispielsweise zu den 10 wichtigsten Nationalparks weltweit. Es kommen Wissenschaftler aus der ganzen Welt hierher, um von der Natur zu lernen. Die Natur kann uns viele Dinge erklären und dank der Forschung können ganz wichtige Erkenntnisse zum Beispiel auch auf unsere Wirtschaftswälder übertragen werden. Der Nationalpark Bayerischer Wald arbeitet mit Nationalparks in Deutschland, aber auch europaweit und weltweit zusammen, sodass Forschungsergebnisse international zusammenfließen und dann wiederum Auswirkungen auf die Bewirtschaftung von anderen Wäldern haben.
Unberührte Wälder sind somit super wichtig, damit unsere Wälder in Zeiten des Klimawandels stabiler werden können.
Wieso ist der Nationalpark Bayerischer Wald und das “wild belassen” dann auf so viel Widerstand gestoßen?
Das hat ganz viel zutun mit der menschlichen Hybris. Wir Menschen sind es gewohnt, überall einzugreifen und denken, dass wir alles besser wissen, und dass wir alles gestalten und formen müssen. Wenn wir das nicht dürfen, dann haben wir ein Problem. Die Philosophin in meinem Film sagt zum Beispiel, dass der größte kulturelle Akt für Menschen im 21. Jahrhundert darin besteht, sich mal zurückzunehmen und zu beobachten, zu staunen und zu lernen. Und genau dieses Problem beobachtet man immer wieder bei Nationalpark-Gründungen — die Menschen sind erst einmal dagegen, weil sie nicht mehr gestalten dürfen, beispielsweise indem sie dem Wald kein Holz mehr entnehmen dürfen.
Und gehen wir hier mal vom Bild der Wälder in Deutschland aus, so sehen wir ein sehr monotones Bild. Besonders in Deutschland fällt mir auf, dass die Menschen sehr stark eine Ordnung in ihren Wäldern haben wollen: Die Menschen sind es gewohnt, dass ganz viele Fichten an Stellen stehen, wo Fichten gar nicht hingehören. Sie kennen einen Einheitswald, einen aufgeräumten Wald. Aber ein wilder Wald, der hat nunmal keine Ordnung, der ist einfach wild — da stehen dicke Bäume, dünne Bäume, da liegt etwas auf dem Boden, da gibt es Biotopbäume, da gibt es stehendes Totholz, liegendes Totholz — das passt nicht in das Bild unserer Wälder, und das passt vor allem auch nicht in das Bild des Menschen, dass er – um es ganz spitz auszudrücken – die Krone der Schöpfung ist und sich anmaßt, über allem zu stehen.
Ich glaube wir haben ein Stück weit die Achtung vor der Natur verlernt und sorgsam mit dem umzugehen, was wir haben. Das sieht man ja auch daran, dass die Menschen mit Harvestern in den Wald fahren, den Wald roden, wilde Wälder durch Bebauung immer weiter zurückdrängen. Auf dem Wald lastet so viel Druck, dass wir uns als Menschen einfach mal zurücknehmen müssten. Wir müssten in der Diskussion deswegen auch darüber sprechen, was uns Natur wert ist. Denn wir leisten uns als Gesellschaft alles mögliche: teure Autos, Fußballspiele, Flugreisen, Häuser, aber die Natur, die soll umsonst sein.
Was möchtest du mit deinem Film bewirken?
Die Menschen haben mittlerweile längst begriffen und nehmen sehr stark wahr, dass es dem Wald nicht gut geht. Wenn man sich Gebiete in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, oder im Harz anschaut, findet man riesige Flächen, die komplett vom Borkenkäfer zerfressen sind, dort wo Monokulturen vorherrschend waren. Wir haben viel zu trockene und heiße Sommer als Folgen des Klimawandels. Es braucht also ganz viele kluge forstwirtschaftliche Gedanken, um den Wald in Deutschland wieder fitter zu machen. Was man aber in jedem Fall sagen kann ist, dass es mehr Totholzanteil und mehr Biotopbäume in den bewirtschafteten Wäldern braucht. Derzeit hat man sich darauf verständigt, dass das 10% sein sollen, wir sind aber gerade mal bei 3%.
Ich wünsche mir, dass das Beispiel des Nationalparks Bayerischer Wald viele Nachahmer findet, und dass wir einfach mehr Nationalparke in Bayern, in Deutschland und in ganz Europa ausweisen. Ich wünsche mir, dass wir mehr dieser naturnahen Wälder zulassen, damit wir mehr Biodiversität haben und dem Sterben von Arten entgegenwirken können, damit auch unsere nachfolgenden Generationen noch gesunde Wälder vorfinden. Als Filmemacherin steht mir das filmische Mittel zur Verfügung, um mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu generieren. Der Film “Der Wilde Wald” findet großen Anklang und ich glaube, dass es von ganz vielen Seiten diese Art von Aufklären und Zeigen braucht, damit auch entsprechend dieser Druck auf die Politik weitergegeben wird.