Letzte Woche hat das Europäische Parlament (EP) eine Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verabschiedet, die keinerlei Verbesserung im Vergleich zur bisherigen Version mit sich bringt.
Die neue Vorlage priorisiert weiterhin die Interessen der Lobby der industriellen Landwirtschaft und ignoriert die Realität der Klimawissenschaft.
Ecosia hat sich dem Aufruf der Klimaaktivisten angeschlossen, die von der Europäischen Union fordern, die GAP-Reform zu annullieren.
Aber was würde das genau bedeuten und ist diese Forderung überhaupt realistisch?
Um es kurz zu machen: ja – theoretisch.
Aber ob es nun tatsächlich dazu kommt oder nicht, hängt davon ab, wie viel Druck die EU-Bürger auf die Europäische Kommission ausüben (EC). Vielleicht noch wichtiger wäre es, unsere nationalen Regierungen, d. h. alle 27 Mitgliedsstaaten, anzurufen.
Warum die GAP-Reform weiterhin die Umwelt schädigt.
Die GAP-Reform ändert nichts an den problematischsten Mechanismen: Subventionszahlungen an die Landwirte richten sich nicht nach Umweltstandards bei den Produktionsmethoden, sondern nach Betriebsstandort und Produktionskapazität. Hiervon profitieren die „Agrarfabriken“, während die kleineren, umweltfreundlichen Betriebe auf der Strecke bleiben.
Die GAP macht ca. 40 % des Gesamtbudgets der EU aus, und genau darum ist es auch so wichtig, dass ihre Maßnahmen den allgemeinen Zielen des Europäischen Grünen Deals entsprechen. Diese sehen insbesondere vor, dass die EU bis 2050 ein CO2-neutraler Kontinent wird, und zwar unter Berücksichtigung der Klimagerechtigkeit.
Die letzte „Reform“ macht dies nahezu unmöglich. Sie legt weder ein Mindestziel für die Emissionsreduzierung im europäischen Agrarsektor fest, noch enthält sie einen konkreten Plan (oder genügend Geld) für die EU-weite Umstellung des Agrarsektors auf regenerative Landwirtschaft.
Stattdessen werden Umweltziele in vage definierten „Öko-Schemata“ festgelegt, die nicht verbindlich sind und den Mitgliedsstaaten einen großen Interpretationsspielraum lassen, wie sie – sofern überhaupt – Anreize für regenerative Praktiken in ihren Landwirtschaftssektoren schaffen oder diese finanzieren können.
Tatsächlich untergräbt die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Vorgehens bei einer gemeinsamen Krise, die sich nicht auf nationaler Ebene lösen lässt.
Und doch ist noch nicht alles verloren. Warum? Werfen wir einen Blick auf die Verfahren zur Gesetzesverabschiedung innerhalb der EU.
So werden in der EU Gesetze gemacht
An der Rechtsetzung in der EU sind im Allgemeinen drei Institutionen beteiligt:
- Das Europäische Parlament, das die Bürger der Mitgliedsstaaten repräsentiert und alle 5 Jahre gewählt wird (die letzte Wahl hat im Mai 2019 stattgefunden). Mitglieder des EP (MdEP) werden in politische Fraktionen gegliedert. Es gibt keine offiziellen Koalitionen, aber die Gruppen können Mehrheiten bilden, um bestimmte Vorschläge, wie die GAP, zu unterstützen oder abzulehnen.
- Der Rat als Repräsentant der Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Je nach Thema sind Minister der relevanten Sektoren involviert (z. B. im Falle der GAP-Verhandlungen hauptsächlich die Landwirtschaftsminister oder ein Äquivalent).
- Die Europäische Kommission, die die Interessen der EU als Ganzes vertritt. Aktuelle Präsidentin ist Ursula von der Leyen. Es gibt einen Kommissar pro Mitgliedsstaat, wobei Janusz Wojciechowski aus Polen für Fragen der Landwirtschaft zuständig ist.
Einfach ausgedrückt: Europäisches Recht durchläuft einen Prozess, an dem diese drei Institutionen beteiligt sind.
Normalerweise beginnt alles damit, dass die EG einen Gesetzesentwurf, wie beispielsweise die GAP-Reform, vorlegt, der dann an das EP und den Rat weitergeleitet wird.
Diese können Änderungen vorschlagen, wobei das EP NGOs und Interessenvertretungen von Unternehmen in das Verfahren einbezieht, ein Vorgang der von der Öffentlichkeit online verfolgt werden kann. In der Zwischenzeit verhandelt der Rat hinter verschlossenen Türen (das heißt, wir erfahren nicht, worauf die einzelnen Mitgliedstaaten drängen).
Erst wenn sich das EP und der Rat auf einen gemeinsamen Wortlaut des Vorschlags geeinigt haben, wird darüber im EP abgestimmt. Wird der Vorschlag angenommen – wie letzte Woche bei der GAP-Reform geschehen – geht er zurück an die Kommission, wo die sogenannten „Trilog“-Verhandlungen beginnen, die den Entwurf in ein Gesetz umwandeln.
Und wie lässt sich die Katastrophe noch abwenden?
Kann die Europäische Kommission diese GAP-Reform noch kippen?
Ein Blick auf den entsprechenden Paragraphen im Vertrag von Lissabon (europäische „Verfassung“, ursprünglich als EU-Grundlagenvertrag bezeichnet ) zeigt, dass die EG zu diesem Zeitpunkt immer noch die Macht hat, den Vorschlag zurückzuziehen oder wesentlich zu ändern.*
Auf diesen Artikel beziehen sich Ecosia, Fridays for Future und viele andere Umweltgruppen und -aktivisten, bei ihrer Forderung, die Kommission solle die GAP-Reform rückgängig machen.
Alternativ kann die Kommission den Entwurf zur zweiten Prüfung an das EP und den Rat zurückschicken, nachdem sie ihn an die im Europäischen Grünen Deal festgelegten Emissionsreduktionsziele angepasst hat.
Es gibt zumindest noch Raum für mehr Klarheit bei der Festlegung von Mindeststandards für das (kleine) Budget, das für regenerative Methoden übrig bleibt, insbesondere im Hinblick auf die Ökosysteme.
Auch die nationalen Regierungen müssen unter Druck gesetzt werden
Es herrscht ein allgemeiner Irrglaube unter EU-Bürgern, demzufolge die EU ihre Entscheidungen den Mitgliedsstaaten aufzwingen kann. Tatsächlich verhält es sich so, dass die Verabschiedung von EU-Gesetzen von den einzelnen Staaten abgesegnet werden muss.
Wie wir gesehen haben, nimmt der Rat hinter verschlossenen Türen Änderungen an den Gesetzesvorschlägen der EK vor.
Wenn Emmanuel Macron in den französischen Nachrichten behauptet, die EU habe ihm Regelungen aufgezwungen, sagt das nichts darüber aus, welche Position er in den geheimen Verhandlungen vertreten hat.
Und auch wenn viele Details der GAP während des "Trilogs" noch zur Diskussion stehen, sind auch diese Verhandlungen in Wirklichkeit sehr intransparent sind, da sie ebenfalls hinter verschlossenen Türen stattfinden.
Die Mitgliedstaaten haben bei den Verhandlungen einen zusätzlichen Vorteil, da sie sich bei der Verteidigung ihrer Interessen auf die Unterstützung ihrer nationalen Verwaltung verlassen können: Im Falle der GAP wurde der Gesetzesvorschlag bereits 2018 an den Rat weitergeleitet, lange bevor das derzeitige EP und die EG nach den EU-Wahlen im Mai 2019 an die Macht gekommen sind.
Da die GAP fast die Hälfte des EU-Haushalts ausmacht, stand das EP unter großem Druck, schnellstmöglich Stellung zu beziehen.
Man kann darüber streiten, wie viel Freiheit die Mitgliedsstaaten bei der Mitgestaltung von EU-Recht eingeräumt werden sollte - oder umgekehrt, inwieweit es der EU gestattet sein sollte, einzelne Mitgliedsstaaten zu überstimmen.
Aber Fakt ist nun einmal, dass es angesichts der Klimakrise einer gemeinschaftlichen Lösung bedarf. Wenn Spanien regenerative Methoden einführt, Polen und Italien jedoch nicht, wird insgesamt nicht viel bewegt werden.
Diese GAP-Reform hat die Macht der EU, weitere Umweltstandards einzuführen, weiter geschmälert. Die GAP in der jetzigen Form macht es jedem der 27 Mitgliedstaaten gefährlich leicht, in einem Bereich, in dem ein koordiniertes Vorgehen dringend erforderlich ist, eigene Wege zu gehen.
Wie du dazu beitragen kannst, dass die GAP gekippt wird?
Unterschreibe diesen offenen Brief von Fridays for Future, der die EU auffordert, die fehlgeleitete Reform zurückzunehmen.
Wenn möglich, teile ihn über die sozialen Medien und vergiss dabei nicht, Frans Timmermans zu taggen. Als Vizepräsident der Kommission liegt es in seiner Verantwortung, den Europäischen Grünen Deal umzusetzen. Lasst ihn wissen, dass wir alle die nächsten Schritte der EU diesbezüglich sehr genau beobachten werden.
Die zweitbeste Option besteht darin, die Kommission zu drängen, zumindest verbindliche Emissionsreduktionsziele für die GAP festzulegen. Dies würde es erschweren, die Umweltziele während der undurchsichtigen Trilogverhandlungen noch weiter zu verwässern.
Macht Druck auf eure Regierung
Eine andere Möglichkeit, Druck auszuüben, besteht darin, die gegenwärtig regierende Partei oder Koalition deines Landes aufzurufen, die Rücknahme dieser GAP zu unterstützen.
Der Rat vertritt die Interessen der nationalen Regierungen. Auch sie hatten ein Mitspracherecht bei der Annahme dieser Reform. Offensichtlich haben sie nicht die Interessen ihrer Bürger vertreten, sondern die des privatwirtschaftlichen Agrarsektors.
Die Politik der EU mag weit weg erscheinen, und aufgrund ihrer Komplexität fühlen wir uns mitunter ohnmächtig.
Tatsächlich ist es aber so, dass, wenn man die Machtstrukturen zwischen den EU-Institutionen und den Mitgliedsstaaten versteht, etwas so Simples wie der Aufruhr in den sozialen Medien eine große Wirkung haben kann.
* Marco Contiero von Greenpeace hat mich über Paragraph (2) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union aufgeklärt, der da lautet: „Solange ein Beschluss des Rates nicht ergangen ist, kann die Kommission ihren Vorschlag jederzeit im Verlauf der Verfahren zur Annahme eines Rechtsakts der Union ändern.“ Der Europäische Gerichtshof (EUGH) hat dieses Recht (C-409/2013) als Befugnis der Kommission ausgelegt, einen Legislativvorschlag zu ändern oder zurückzuziehen, bevor das Verfahren der ersten Lesung abgeschlossen ist, also bevor der Rat nach der Annahme in erster Lesung durch das Europäische Parlament formell seine politische Einigung über einen Kommissionsvorschlag annimmt.