Meinung

Für den Schutz unserer biologischen Vielfalt: Einsatz von Glyphosat stoppen

Glyphosat ist ein Pflanzengift, oder Herbizid, das seit den 1970er Jahren zur Unkrautbekämpfung eingesetzt wird. Es wurde zuerst von Monsanto unter dem Handelsnamen Roundup auf den Markt gebracht und wird seitdem weltweit für eine Reihe von Zwecken eingesetzt, größtenteils in der Landwirtschaft, aber auch bis in Städte sowie kleine Wohngebiete.

Die EU-Kommission hat in diesem Jahr beschlossen, die Zulassung von Glyphosat zu verlängern, obwohl es immer mehr Beweise dafür gibt, dass sich der Einsatz von Glyphosat negativ auf die biologische Vielfalt und die menschliche Gesundheit auswirkt. Ecosia hat sich mit der Aurelia-Stiftung zusammengetan, um rechtlich gegen die Entscheidung der EU-Kommission vorzugehen. Matthias Wolfschmidt von Aurelia erklärt, warum dieser Kampf gerade jetzt so wichtig ist.

Kannst du etwas genauer auf die negativen Auswirkungen von Glyphosat auf die biologische Vielfalt — und auf unsere Gesundheit — eingehen?

Glyphosat ist eines der weltweit meistgenutzten Pestizide und ein „Totalherbizid“: es tötet alle grünen Pflanzen und somit grünt und blüht auf den Äckern buchstäblich nichts außer der jeweiligen Nutzpflanze. Gleichzeitig werden auch Bienen, bestäubende Insekten und Amphibien geschädigt und seit Jahren wird über die mögliche krebsauslösende Wirkung von glyphosathaltigen Pestiziden gestritten. Ende Oktober 2023 wurde bekannt, dass in einer Studie Leukämie bei Ratten festgestellt wurde, die Dosen von Glyphosat ausgesetzt waren, die derzeit von den EU-Regulierungsbehörden als sicher für Kinder und Erwachsene angesehen werden. 

Kannst du uns ein wenig über Aurelia erzählen, sowie über Dich selbst?

Die Artenvielfalt, die Stabilität der Ökosysteme und schließlich auch unser aller Ernährungssicherheit sind existenziell gefährdet, wenn blütenbestäubende Insekten aussterben. Aurelia ist eine operativ tätige Stiftung, die dagegen ankämpft. Wir bringen Menschen das faszinierende Leben von Wild- und Honigbienen näher, um ihr Verständnis für die Schönheit und Vielfalt der Natur zu wecken – denn nur was wir kennen und wertschätzen, wollen wir schützen. Außerdem möchten wir Honig- und Wildbienen als „Seismografen“ für den Zustand der Natur und der Agrarlandschaft etablieren – denn wenn es den Bienen schlecht geht, steht es auch schlecht um die Natur. 

Ich selbst bin seit sechs Monaten Vorstand von Aurelia, nachdem ich – approbierter Tierarzt und Master of Pharmaceutical Medicine – sieben Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter im  Bundestag und zwanzig Jahre bei foodwatch als Direktor für Kampagnen und Strategie tätig war.

Kannst du unseren Leser*innen kurz erklären, worum es bei dieser Klage geht?

Wir klagen gegen die, unseres Erachtens, rechtswidrige Zulassungsverlängerung des Pestizidwirkstoffs Glyphosat durch die EU-Kommission. Die gesetzlich vorgeschriebene Aktualisierung der Sicherheitsüberprüfungen wurde nicht vorgenommen und das in der EU gesetzlich verankerte Vorsorgeprinzip somit verletzt. Die EU-Kommission hätte warten müssen, bis die ausstehenden Risikoprüfungen abgeschlossen sind. 

Was ist der aktuelle Stand der Dinge in Bezug auf die Klage?

Aurelia hat die Klage gegen die EU-Kommission beim EU Gericht eingereicht. Jetzt heißt es warten. Währenddessen prüfen wir, gegen welche anderen bienengefährlichen Pestizide erfolgversprechende Ansätze für Klagen bestehen. Letztlich geht es uns darum, die EU-Kommission dazu zu zwingen, das geltende Pestizidrecht korrekt anzuwenden. Mit der Glyphosat-Klage sind wir übrigens Pioniere: Es ist das erste Mal, dass eine NGO die EU-Kommission wegen einer Pestizidzulassung beim EU Gericht verklagt.

Was könnte in Zukunft mit der biologischen Vielfalt passieren, wenn wir nicht aufhören, Glyphosat zu verwenden?

Die EU-Kommission gibt selbst an, dass in der EU der Bestand jeder dritten Bienen-, Schmetterlings- und Schwebfliegenart zurückgeht und auf der Hälfte der EU-Agrarflächen ein Bestäubermangel droht. Wenn Wildbienen, Schmetterlinge, Schwebfliegen und andere bestäubende Insekten fehlen, sind nicht nur blühende Pflanzen und die Ernteerträge der Landwirtschaft betroffen. Ganze Nahrungsketten brechen zusammen und letztlich steht die Stabilität der Ökosysteme auf dem Spiel. 

Der nach wie vor massive Einsatz von Glyphosat und hunderten anderen Pestiziden in der europaweit betriebenen Intensivlandwirtschaft ist, in Verbindung mit dem Ausbringen von Mineraldüngern auf den ausgeräumten Mono- und Reinkulturen, eine der Hauptursachen von Artensterben und Habitatverlusten. Es ist nicht übertrieben, die drohende Gefahr eines Arten-, Biodiversitäts- und Ökosystem-Kollapses im kommenden Jahrzehnt zu benennen. Wissenschaftlich ist das weitgehend erforscht, wie zuletzt Ende Oktober auch die Universität der Vereinten Nationen warnte.  

Welches sind die wichtigsten politischen, kommerziellen, etc. Interessen, die dabei im Spiel sind? Warum wollen einige den Einsatz von Glyphosat fortsetzen?

Weder die EU-Kommission, noch das Bundeslandwirtschaftsministerium will Ärger mit den Landwirt:innen. Für diese bedeuten Glyphosat und all die anderen Pestizide höchste Ernteerträge bei niedrigsten Herstellungskosten, wenn man die Augen vor den „Nebenwirkungen“ (Artensterben, zunehmende Unfruchtbarkeit der Böden, Belastung des Grund- und Oberflächenwassers etc) verschließt. Allen voran die chemische Industrie, aber auch die Fleisch- und Milchindustrie, die großen Getreide- und Agrarrohstoff-Händler und schließlich die Lebensmittelhandelskonzerne verdienen mit und hängen ab von dem bestehenden System des pestizidgestützten intensiven Ackerbaus. Und alle diese Player geben viel Geld für Greenwashing und raffinierteste Lobbymaßnahmen aus.

Gibt es realisierbare Alternativen zu Glyphosat?

Selbstverständlich. Glyphosat wurde 1974 erstmals eingesetzt. In den 10.000 Jahren, in denen die Menschheit Ackerbau und Viehzucht betreibt, waren 9.900 Jahre pestizidfrei. Man benötigt robustes Saatgut, ausgefeilte Bodenbearbeitung, abwechslungsreiche Fruchtfolgen und vor allem die Einsicht, dass eine Landwirtschaft, die nicht gegen die Natur arbeitet, auf Dauer die bessere Strategie ist, um unser aller Ernährung sicherzustellen. Unsere biologischen und technologischen Kenntnisse müssen wir nur nutzen, um in stabilen Ökosystemen genügend Lebensmittel anzubauen.

Was kann gegen dieses Problem getan werden? Und was können wir als Einzelne, wie z.B. unsere Ecosia Community, tun?

Das Wichtigste ist, sich nicht von der Lieblings-Horrorgeschichte der Chemie- und Agrarlobby einschüchtern zu lassen: Ohne Pestizide gibt es Hunger und/oder Lebensmittel werden unbezahlbar. Millionen von Tonnen an Lebensmitteln werden jedes Jahr weltweit weggeworfen. Da kann jede:r auch individuell etwas tun. Die weltweit fast 800 Millionen Menschen, die heute an Hunger leiden, tun dies wegen Kriegen, Korruption und Armut. 

Daher müssen wir den Angstmachern die Stirn bieten und uns politisch einmischen. Die EU gibt jährlich über 50 Milliarden Euro für den Agrarsektor aus. Alles Steuermittel, die bislang nicht dazu geführt haben, eine faire, umwelt- und tierfreundliche Landwirtschaft in der EU zu entwickeln. Seit der Jahrausendwende wurden unter diesem Blickwinkel weit über eine Billion Euro an Steuergeldern buchstäblich verschwendet. Es ist also höchste Zeit, dass wir Bürger:innen uns die Ernährungspolitik von den Agrarministerien, der Agrarbürokratie und all den Agrarlobbyisten zurückholen.

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